Die WM 2018 in Russland ist vorbei, Frankreich ist Weltmeister. Zurecht? In diesem Rückblick werden wir uns die Statistiken genauer anschauen, um zu sehen, ob sie uns helfen herauszufinden, warum einige Teams erfolgreich waren, während andere versagten. Frankreich war das konstanteste Team einer sehr unberechenbaren Weltmeisterschaft. Sie war nicht konstant, weil viele der etablierten Mächte wie Deutschland, Spanien, Argentinien und Brasilien zwischen exzellenten Team- oder Einzelleistungen schwankten, gefolgt von schockierenden Auftritten ein paar Tage später. Die WM war unvorhersehbar, da mittelmäßige Mannschaften oder Außenseiter überraschende Ergebnisse erzielten. Frankreich und Kroatien, die beiden Finalisten, waren die besten verbliebenen Mannschaften des Turniers und zeigten ab und an ihre Fähigkeiten. In einigen Spielen gelang ihnen das allerdings überhaupt nicht. Nachdem wir die meisten der 64 Spiele gesehen haben, werden wir versuchen, einen WM-Rückblick mit aussagekräftigen Daten zu machen. Unsere statistische Analyse basiert stark auf den so genannten "Expected Goals" (abgekürzt mit xG). Expected Goals messen hauptsächlich die Qualität der Schüsse. Jede Position auf dem Spielfeld hat einen Prozentwert, der angibt, wie hoch die durchschnittliche Trefferquote von dort sein sollte. Die Werte liegen zwischen 0 und 1. Ein Elfmeter z.B. hat einen Wert von 0,76. Das heißt zu 76 Prozent ist ein Schuss vom Elfmeterpunkt ein Tor. Wenn ein Spieler von seiner Position aus trifft, erhöht sich sein xG-Wert ebenfalls. Es gibt verschiedene Faktoren, die den Wert des xG bestimmen können, z. B. ob der Schuss mit dem Fuß oder dem Kopf ausgeführt wird, wie der Pass, der zum Schuss führt, gegeben wird, die Anzahl der Verteidiger zwischen dem Ball und dem Tor oder ob ein Verteidiger es dem Stürmer erschweren kann, ein Tor zu erzielen. Hinweis: Da es verschiedene Ansätze zur Berechnung der xG gibt, kann es geringfügige Unterschiede in den Werten geben. Wir werden die Statistiken unserer sechs Favoriten (Argentinien, Belgien, Brasilien, Frankreich, Deutschland, Spanien) zusammen mit den anderen beiden Halbfinalisten (Kroatien, England) analysieren. Die folgende Tabelle zeigt vier verschiedene Werte: Wie viele Tore erzielt wurden, wie sie erzielt wurden, wie viele kassiert wurden, und die Expected Goals.

Das erste, was bei dieser Weltmeisterschaft bemerkenswert ist, ist, dass die Mannschaften mit dem höchsten Ballbesitzwerten frühzeitig aus dem Turnier ausgeschieden sind: Spanien (69%), Deutschland (65,3%) und Argentinien (61,1%).
Spanien hatte den xG-Vorteil in allen vier Spielen, errang aber nur einem Sieg. Die Iberer waren als Passmaschine bekannt, deren Erfolg nicht auf der Offensive, sondern auf einer guten Defensive ruhte. Während der WM 2010 haben sie in der K.O.-Phase kein einziges Gegentor kassiert und alle Spiele mit 1:0 gewonnen. Sie kontrollierten die Spiele, machten wenig defensive Fehler und erzielten das entscheidende Tor. Ein Plan, der erneut erfolgreich zu sein schien, als man gegen Russland mit 1:0 führte. Die Gastgeber jedoch konnten den Ausgleich erzielen und das Spiel im Elfmeterschießen gewinnen. Die xG waren 2,12:1,01 für Spanien, ohne den Strafstoß wäre Russlands xG gar nur bei 0,3. Wieder einmal kontrollierten die Spanier das Spiel, machten aber einen Fehler, den sie nicht ausbessern konnten, obwohl sie in einen neuen Rekord in einem WM-Spiel aufstellten: während Russland 284 Pässe gab, hatten die Spanier nach Ende der Verlängerung 1137.
Der WM-Sieger aus dem Jahr 2014 schied überraschenderweise nach der Gruppenphase aus. Deutschland hatte in jedem Spiel einen höheren xG-Wert als sein Gegner. Wie konnte Deutschland nur 2 Tore erzielen, obwohl sie "7,34" Tore erzielt hätten können? Der Grund ist sehr einfach und zeigt gleichzeitig eine Schwäche der xG: kein Schuss der Deutschen erreichte einen höheren Wert als 0,5. Sie hatten viele Chancen, aber keine guten. Kroos schien Deutschland gegen Schweden gerettet zu haben, als er einen atemberaubenden Freistoß erzielte, der nur einen xG-Wert von 0,1 hatte. Allerdings lieferte Deutschland im Spiel gegen Südkorea eine weitere schlechte Leistung ab und schied zum ersten Mal in der Geschichte nach der Gruppenphase bei einer WM aus.
Ein Team, das schwer zu bewerten ist, ist Argentinien. Sie versuchten den Sampaoli-Stil mit einer stark von Messi beeinflussten Startelf zu spielen. Das Ergebnis war eine Spielweise, die keine Handschrift und eine unvorhersehbare Mannschaftsleistung zur Folge hatte. Dennoch waren sie die einzige Mannschaft, die gegen den späteren Sieger Frankreich führte. Nur um dann innerhalb von neun Minuten drei Tore zu bekommen.
Die nächste Mannschaft in der Ballbesitzstatistik ist übrigens Pizzi's Saudi-Arabien (57%). Ja, gegen Russland haben sie 5:0 verloren, aber das xG-Ergebnis war "1,8:0,2".
Fünfter im durchschnittlichen Ballbesitz war Brasilien (56,8%). Sie hatten die höchsten xG pro Spiel (2,56) und die niedrigsten kassierten xG pro Spiel (0,71). Wieso haben der beste Angriff und die beste Verteidigung nicht die WM gewonnen? Weil eine WM keine Fehler erlaubt. Es gibt kein Rückspiel, um ein Ergebnis zu korrigieren. Im wohl besten WM-Spiel war Brasilien in der ersten Halbzeit durch die Taktik Belgiens überrascht worden, die dabei zwei Tore erzielten. Trotzdem hätten sie das Spiel noch drehen können, denn das xG-Ergebnis betrug 2,45:0,5 zugunsten der Brasilianer. Die Südamerikaner konnten nur noch ein Tor erzielen und mussten zusehen wie sich die Belgier für das Halbfinale qualifizierten.
Belgien wurde Dritter und erreichte das beste WM-Ergebnis seiner Geschichte. Kein Team erzielte mehr Tore als die Belgier (16). Die xG von insgesamt 15,8 zeigt ihre Effizienz. Nicht nur gegen Brasilien nutzten sie ihre Chancen, der Konter, der zum Siegtor gegen Japan führte, fasst ihre größte Stärke zusammen: schnell nach vorne spielen. Obwohl sie mit einer starken Dreierkette spielten, war ihre größte Schwäche das Verteidigen von Kontern. Gegen Frankreich waren sie genau dem ausgesetzt: sie waren gezwungen, das Spiel zu machen und konnten nicht kontern, während Frankreich gleichzeitig einige Konter hatte, die die Belgier in Schwierigkeiten brachten. Das Ergebnis war ein 1:0-Sieg von Frankreich nach einer Ecke. In der Tat spiegelte es die xG (1,91:0,38 für Frankreich) wider. Da De Bruyne ein schlechtes Spiel machte und Lukaku zeigte, warum er kein Weltklasse-Stürmer ist, reichte Hazard alleine nicht aus, um Belgien zum Sieg zu führen. Ein Team, dem in dieser Nacht die Kreativität fehlte und das gegen Frankreichs hervorragende Verteidigung keine Lösung fand.
Was ist mit England? Überall wurden sie gehypt den vierten Platz im Turnier erreicht zu haben. Wir analysieren ihre Leistungen noch einmal. Der höchste xG-Wert (19,01) und ein unglaublicher xG-Wert für Standardsituationen (11,84). Während die anderen Halbfinalisten hinsichtlich der Chancenverwertung zwischen den xG und den in der Realität erzielten Toren sehr effizient waren, kann England in dieser Statistik nicht mithalten. Kein Team hat mehr Tore durch Standards erzielt als England (5), aber die xG in dieser Kategorie zeigen, dass sie es noch besser hätten machen können. Gleichzeitig müssen wir darauf hinweisen, dass sie innerhalb von 90 Minuten nur Tunesien, Panama und Schweden schlagen konnten. Gegen eine kolumbianische Mannschaft ohne James Rodriguez konnten sie nur knapp im Elfmeterschießen gewinnen (was zumindest ihr erster Sieg im Elfmeterschießen bei einer WM war). England verlor in Spielen ohne Bedeutung zwei Mal gegen Belgien. Das Spiel gegen Kroatien wurde in der Verlängerung verloren (xG 1,56:0,56 für Kroatien).
Die größte Überraschung war sicherlich Kroatien. Nach drei Siegen in der Gruppenphase schafften sie es nicht, innerhalb von 90 Minuten ein einziges Spiel in der K.O.-Phase zu gewinnen. Wie England profitierten sie vom "leichten Weg" ins Finale. Gegen mittelmäßige Gegner wie Dänemark und Russland haben sie nur im Elfmeterschießen gewonnen und gegen ein überbewertetes England haben sie es ins Finale geschafft. Eine stärkere Mannschaft in der Ko-Phase hätte Kroatien wahrscheinlich dafür bestraft, 1,44 xG pro Spiel zugelassen zu haben. Nichtsdestotrotz zeigte Kroatien einen guten Kampfgeist, nachdem es gegen jedes Team in der K.O.-Phase einen Rückstand aufholte. Vor dem Endspiel hatte Kroatien bereits einen großen Nachteil: sie hatten nicht nur einen Tag weniger zur Erholung, sondern auch 101 Minuten mehr als Frankreich gespielt.
Frankreich gewann das Finale 4:2 und somit ihren zweiten WM-Titel. Die beiden Finalisten hatten einige Gemeinsamkeiten. Ihre größte Stärke war ihre Physis. Kein Team erhielt mehr gelbe Karten als Kroatien (15) und Frankreich (12). Beide waren in Bezug auf das Herausspielen von Chancen durchschnittlich, aber extrem gut bei der Chancenverwertung. Im Gegensatz zu Kroatien war Frankreichs Weg ins Finale viel schwieriger. Frankreich beendete seine Gruppe mit zwei Siegen und einem Remis und spielte während des gesamten Turniers sehr pragmatisch. Im Achtelfinale schlugen sie Argentinien in einem spektakulären Spiel mit 4:3, bevor sie im Viertelfinale auf Uruguay trafen. Die Urus besiegten Europameister Portugal mit 2:1 trotz eines xG-Nachteils (0,98:0,47 für Portugal). Cavani zeigte seine Weltklasse bei dieser Weltmeisterschaft und erzielte zwei Tore in diesem Spiel. Allerdings verpasste er das folgende Spiel aufgrund einer Verletzung. Das Ergebnis war ein 2:0-Sieg Frankreichs, scheinbar ihr überzeugendster Sieg im Turnier. Tatsächlich betrug das xG-Resultat 0,95:053 für Uruguay. Man kann sich nur vorstellen, was hätte passieren können, wenn Cavani dieses Spiel gespielt hätte und Muslera nicht dieser großen Patzer unterlaufen wäre. Das Halbfinale gegen Belgien war sicherlich Frankreichs beeindruckendstes Spiel, zumindest aus defensiver Sicht. Sie ließen kaum gute Chancen zu und waren die einzige Mannschaft, gegen die die Roten Teufel nicht treffen konnten. Frankreich hat auch völlig verdient das Finale gewonnen. Ihre Chancenverwertungsrate von 16,3% übertraf alle anderen Mannschaften in der Ko-Phase mit Ausnahme von Russland und Kolumbien. Frankreichs kassierte xG pro 90 Minuten von 1,25 klingen nicht besonders beeindruckend, aber sie bekamen fünf ihrer sechs Gegentore in den zwei Partien gegen Argentinien und Kroatien, schossen aber gleichzeitig vier Tore.
Abschließend können wir festhalten, dass Frankreich kein Spiel verloren hat, vier Spiele ohne Gegentor absolvierte, das beste Innenverteidigerduo, den besten defensiven Mittelfeldspieler und Youngster hatte. Sie entschieden eine recht einfache Gruppe sehr schnell und überwanden alle Gegner in den Ko-Spielen, ohne in die Verlängerung gehen zu müssen. Die Tatsache, dass Frankreich so gut wie nie einem Tor hinterherrennen musste, war der Schlüssel zu ihrem Erfolg, denn das wäre sonst ein großes Problem für sie gewesen.
Die xG-Statistiken können ziemlich viel erläutern, aber am Ende bleibt es ein Spiel mit zu vielen Variablen, die wir nicht immer erklären können. Es bleibt das schöne Spiel.