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Warum wir Marokko bei der Weltmeisterschaft feiern werden

Nach 20 Jahren ist Marokko endlich wieder bei einer Weltmeisterschaft vertreten. Man konnte die marokkanische DNA vor allem in den Nationalmannschaften von Frankreich, den Niederlanden oder Belgien sehen, in denen einige Nationalspieler marokkanischer Herkunft spielen. Jedoch wird oftmals der südländische Spielwitz durch die europäische Philosophie eingeschränkt. Jetzt, da sich die Nordafrikaner nach 1998 erneut qualifiziert haben, sollte ein jedes Fußballherz schneller schlagen. Mit Hervé Renard haben die Atlaslöwen einen Trainer, der wie kaum ein Anderer Erfolge in Afrika erzielen konnte. Viele sagen ihm deshalb (scherzhaft) nach, dass er mehr für den afrikanischen Kontinent getan hat als UNICEF. 2011 gewann er sensationell den Afrika-Cup mit Sambia, 2015 wiederholte er diesen Erfolg mit der Elfenbeinküste. Damit ist er der erste Trainer, der mit zwei verschiedenen Nationalmannschaften Afrikas wichtigste Trophäe gewinnen konnte. Mit Marokko gelang ihm ein weiteres Ausrufezeichen. Ungeschlagen und ohne Gegentor(!) setzte sich der Maghrebstaat vor der Elfenbeinküste, Gabun und Mali durch und qualifizierte sich so für die WM.

Bei einer Ansammlung von begnadeten Technikern wie bei Marokko erwartet man schön anzusehenden Fußball mit frechen Dribblings, genialen Vorlagen und zauberhaften Toren. Der Begriff des Straßenfußballers wird vor allem mit Brasilien verbunden. Allerdings ist der brasilianische Zauber längst verblasst. Die letzten Jahre war die Seleção eher für ihre defensive Spielweise bekannt. Natürlich besitzen immer noch einige Brasilianer großes technisches Potential. Inzwischen wird jedoch alles gnadenlos dem Erfolg untergeordnet. Bei der WM 1994 gewannen die Südamerikaner erstmals nach 24 Jahren wieder die Weltmeisterschaft. Alles andere als schön anzusehen, aber am Ende erfolgreich. Ganz anders 1982. Mit Zico, Socrates und Co. spielten Brasilien bei der WM in Spanien vielleicht den schönsten Fußball aller Zeiten. In der ersten Runde gewannen sie alle drei Gruppenspiele. Dann die Zwischenrunde, in einer Gruppe mit Argentinien und dem späteren Weltmeister Italien. Brasilien gewinnt 3-1 und Italien 2-1 gegen Argentinien. Der Seleção reicht nun ein Unentschieden gegen die Italiener um das Halbfinale zu erreichen. Beim Stand von 2-2 spielt Brasilien weiterhin offensiv, Italien jedoch gelingt der 3-2 Siegtreffer. System hat an jenem Tag über Spielfreude gewonnen. Für Romantiker läutete dieser Tag das Ende des offensiven, wilden Fußballs ein. Betrachtet man heutzutage Spiele sind diese geprägt von Disziplin und kühler Taktik. ​ Marokko wird wohl kaum die WM in Russland gewinnen. Aus den zwei verschieden Beispielen der Brasilianer könnten die Marokkaner aber durchaus einige Lehren ziehen. In ihrer Gruppe befinden sich Spanien, Portugal und der Iran. Ein Turnierfavorit, ein zäher Gegner und eine Pflichtaufgabe. Genau so sollten die Marokkaner in ihrer Gegneranalyse vorgehen.

Im ersten Spiel muss der Iran geschlagen werden. Marokko sollte sich nicht zu sehr in schön anzusehende Dribblings verzetteln. Vielmehr sollte man über Ballbesitz das Spiel dominieren. Im letzten Drittel kann durch Spieler wie Ziyech, Harit, Belhanda, oder Dirar durch gewonnene Dribblings die entscheidende Überzahlsituation geschaffen werden. Weitere Offensiv-Power bringt Außenverteidiger Hakimi. Wichtig wird es sein geduldig zu spielen. Ein Sieg mit mehreren Toren Unterschied ist wahrscheinlich ebenfalls nötig, dazu mehr im Folgenden.

Das zweite Spiel gegen Portugal ist entscheidend für Marokko, räumt man den Spaniern die klare Favoritenrolle ein. Die Portugiesen fühlten sich bei der EM 2016 eher wohl, wenn der Gegner das Spiel machte. Das führte letztendlich zum großen Coup. Vergessen darf man aber auch nicht, dass man in der dortigen Gruppenphase gegen Österreich, Island und Ungarn jeweils nur zu Unentschieden kam. Diesen Spielausgang sollten auch die Marokkaner anvisieren. Dazu sollten sie den Südeuropäern den Ball überlassen. Marokko könnte dann mit ihren dynamischen Mittelfeldakteuren in der eigenen Hälfte pressen und über Konter versuchen zu Abschlüssen zu gelangen. Eine Taktik mit der Algerien Deutschland bei der WM 2014 am Rande einer Niederlage hatte, hätte Manuel Neuer nicht vielleicht die beste Torhüterleistung aller Zeiten gezeigt. Portugal wird somit hauptsächlich zu Distanzschüssen oder Flanken kommen. Im eigenen Strafraum wird es auf den kopfball- und zweikampfstarken Benatia ankommen. Gelingt hier mindestens ein Remis ist im letzten Gruppenspiel noch alles möglich.

Jetzt können die Qualitäten von Marokkos Straßenkickern zum Einsatz kommen. Die spielfreudigen Offensivspieler wie Ziyech, Harit, Belhanda und Dirar sollten gleichzeitig aufgestellt werden, vor allem wenn ein Remis zum Weiterkommen nötig ist. Es würde nicht überraschen, wenn die Spanier mit langen Ballstafetten die Marokkaner kontrollieren. Mit dribbelstarken Offensivakteuren jedoch kann das Team von Renard dem entgegenwirken und so für die nötige Entlastung und vielleicht einen Lucky-Punch sorgen. Offensiv sind die Marokkaner in der Lage für Überraschungsmomente zu sorgen, die selbst die Weltklasse-Viererkette von Spanien in Schwierigkeiten bringen kann. Zugegeben, es wird bei diesem Spiel schwer sein überhaupt einen Punkt zu holen. Wenn die Maghrebiner aber den Respekt ablegen, ist eine Sensation möglich. Falls man kühlen Kopf in den vorherigen Spielen behält ist sogar ein frühzeitiges Weiterkommen möglich. ​ Fazit: Marokko hat mit Hervé Renard einen Trainer der bewiesen hat, dass er mit Nationalmannschaften erfolgreich sein kann. Seine Aufgabe wird es sein in den entscheidenden Momenten die Straßenfußballer aus dem taktischen Korsett freizulassen. Diese können den Unterschied ausmachen. Fußballfans auf der ganzen Welt würden so eine Mannschaft ins Herz schließen. In einer Zeit der zunehmenden Taktisierung des Fußballs wäre eine Rückkehr der Straßenfußballer eine schöne Geschichte, die nicht unbedingt nach der Gruppenphase enden muss… ​ #whatif


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