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Der Fußball im Wandel

Vor dem Beginn der Dominanz Spaniens und des FC Barcelona ungefähr um das Jahr 2008 herum, war das Spiel vieler Mannschaften darauf ausgelegt, den Ball in den Strafraum zu flanken und dort Kopfballtore zu erzielen. Der FC Bayern hatte mit Willy Sagnol einen exzellenten Flankengeber, Michael Ballack, Miroslav Klose und Luca Toni waren überragende Kopfballspieler. Bei Manchester United flankte David Beckham auf Andy Cole, Dwight Yorke oder Ole Gunnar Solskjær. Bei Real Madrid fütterten die beiden Außenverteidiger Michel Salgado und Roberto Carlos Fernando Morientes – einen der kopfballstärksten Spieler seiner Zeit – ständig mit Flanken. Morientes gewann in den Jahren 1997/1998, 1999/2000 und 2001/2002 mit Real Madrid die Champions League. In der Saison 2003/2004 war er von Real Madrid nach der Verpflichtung Ronaldos im Jahr zuvor an den AS Monaco ausgehliehen. Dort wurde er mit neun Toren Torschützenkönig, zwei davon erzielte er in den Viertelfinalspielen gegen Real Madrid, zu deren Ausscheiden er dadurch entscheidend beitrug. Die beiden Außenverteidiger Monacos – Patrice Evra und Hugo Ibarra – waren exzellente Flankengeber, während der linke Mittelfeldspieler Jérôme Rothen wohl einer der besten Flankengeber seiner Zeit war. Die Highlights dieses Aufeinandertreffens zeigen wie flankenlastig der Fußball zur damaligen Zeit war. Mit Beginn der spanischen Dominanz ging es immer mehr darum geschickt Räume zu finden, den Gegner durch Steckpässe zu knacken und in Ballbesitz zu bleiben, anstatt den Ball in den 16-er zu flanken. Die Flanke als taktisches Mittel war auf einmal komplett überholt, obwohl sie in den Jahren davor ein sehr erfolgsversprechendes Stilmittel für die Torerzielung war. Um das Jahr 2012 herum versuchten fast alle Mannschaften das spanische Kurzpassspiel zu kopieren, auch wenn die Spieler oft nicht die entsprechende Ausbildung dazu hatten. Fast schien es so, dass es wichtiger war „schön“ zu spielen, als erfolgreich zu spielen. Und „schön“ spielen bedeutete damals eben nicht zu flanken, oder schnell nach vorne zu spielen, sondern nach langen Ballbesitzphasen den tödlichen Pass zu spielen, der dann zum Torerfolg führte. Wie der FC Barcelona zu seinen Glanzzeiten unter Guardiola eben. In der Saison 2010/2011 hatten sie 76,5% Ballbesitz, Flanken gehörten überhaupt nicht zum Repertoire von Guardiolas Team. Und Barcelona war zu dieser Zeit ohne Frage eine der besten Mannschaften aller Zeiten. Doch jeder Trend bringt zwangsläufig einen Gegentrend hervor. Viele Mannschaften parkten den Bus gegen spielstarke Mannschaften, was es diesen dann fast unmöglich machte durch Kombinationsspiel vor das gegnerische Tor zu kommen.


Barcelona gewann 2015 noch einmal die Champions League, allerdings mit einem komplett anderen Ansatz: Sie verließen sich hauptsächlich auf die individuelle Qualität von Neymar, Luis Suárez und Lionel Messi, im Mittelfeld hatte der physisch starke Rakitić Xavi ersetzt, Iniesta und Busquets waren nach wie vor an Bord. Zwischen 2014 und 2018 wich das Ballbesitzspiel mehr und mehr dem Umschaltspiel. Spanien scheiterte bei der WM 2014, obwohl sie einer der Turnierfavoriten und amtierender Weltmeister waren, bereits in der Vorrunde, Deutschland passierte 2018 genau das Gleiche. Beide spielten sehr ballbesitzorientierten Fußball. 2014 wurde Deutschland Weltmeister. Die Stärke der deutschen Mannschaft waren das organisierte Pressing (man erinnere sich nur an die vielen Ballgewinne beim 7:1 Erfolg gegen Brasilien) und Standardsituationen, die Spielweise war insgesamt relativ ausgewogen. Das Finaltor von Mario Götze fiel nach einer Flanke. 2018 spielte Deutschland nur auf Ballbesitz, ohne wirklich Gefahr zu erzeugen. Weltmeister wurde Frankreich, mit guter Defensive, Umschaltspiel, guten Standards und individueller Qualität. Real Madrid gewann zwischen 2014 und 2018 viermal die UEFA Champions League, und konnte dabei wie kein anderes Team dank ihrer überragenden individuellen Qualität aus dem besten der oben beschriebenen Trends zurückgreifen. Dann setzte Jürgen Klopp mit dem FC Liverpool einen neuen Trend, der bis heute anhält: Ballbesitzfußball ist wieder angesagt, allerdings wird der Ball jetzt in den Strafraum geflankt. Klopp gewann so mit dem FC Liverpool auch Dank der beiden Außenverteidiger Andrew Robertson und Trent Alexander-Arnold 2019 die Champions League. Robertson bereitete in 48 Spielen 13 Tore vor, Alexander Arnold in 40 Spielen sogar 16. Der FC Bayern gewann mit einer ähnlichen Herangehensweise in der Offensive im Jahr darauf die Champions League.

Flanken sind wieder in!


#whatif



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